Starre Modelle haben ausgedient, denn was wir heute benötigen, sind Flexibilität, Mut und kreative Lösungsideen. Dabei hat derjenige die Nase vorn, der zur richtigen Zeit den richtigen Methodenkoffer aus der Schublade zieht, um das Fortbestehen einzelner Projekte oder ganzer Unternehmen zu sichern. Ist es also noch zeitgemäß diesen Druck zur Lösungsfindung bzw. für das erfolgreiche Managen des Unternehmens auf einzelne, wenige Führungskräfte zu verteilen oder in einigen Fällen dem Geschäftsführer allein aufzubürden?
Aus psychologischer Sicht ergibt es durchaus Sinn, Verantwortung klar zu definieren. Phänomene, wie die Verantwortungsdiffusion, zeigen sich auch im Unternehmenskontext. Bei Studien haben Soziologen herausgefunden, dass Aufgaben, die von Mitarbeiter:innen als notwendig erkannt bzw. eingestuft werden, dennoch nicht von ihnen erledigt werden. Warum? Erklärt wird dies durch eine fehlende Verknüpfung ihrer eigenen Rolle im Unternehmen zu der Aufgabe. Das Verantwortungsempfinden entsteht also maßgeblich über konkrete Zuschreibung. Ein weiterer Grund liegt in einer hierarchisch übergeordneten Rolle, denn diese trägt zumindest im Hinblick auf die Stellung im Unternehmen in jedem Fall mehr Verantwortung. Warum dann nicht auch für alle ungeliebten Aufgaben?
Die Verantwortungsübernahme ist, wie wir sehen, ein Knackpunkt, wenn es um Hierarchie geht. Daneben sind es insbesondere vielschichtige und langwierige Prozesse, langsame Entscheidungswege, fehlendes Wissen an der “entscheidenden” Stelle sowie kaum vorhandene Flexibilität, die wachsende Unternehmen dazu bringt Hierarchien in Frage zu stellen. Was unterscheidet den “keine Hierarchie”-Ansatz von Top-Down- bzw. Bottom-up-Management? Wo liegen die Möglichkeiten und wo die Grenzen?
Stellen Sie sich vor, auf einmal arbeiten alle auf gleicher Höhe, vielleicht sogar gleicher Augenhöhe, alle haben den Status eines Mitarbeiters oder andersherum alle werden zu Führungskräften. Aus dem Trendthema ist in einigen Organisationen bereits Wirklichkeit geworden. Gemeinhin wird behauptet, dies funktioniert nur in Start-Ups oder IT-Unternehmen. Wie ordnet sich der Plan zum Aufbau einer Schwarmorganisation von Daimler-Chef Dieter Zetsche in diese Behauptung ein? Der Automobilhersteller ist bekanntermaßen weder Start-Up noch ein reines IT-Unternehmen. Gleichzeitig hat sich Daimler eine Neuausrichtung vorgenommen, die zu einer veränderten Struktur und Unternehmenskultur führen soll - kollektives Denken, statt Siloarbeit.
Führung einfach abzuschaffen bzw. einfach die Ebene des mittleren Management zu entfernen, ist dabei jedoch nicht der richtige Weg. Dieses Vakuum führt zu Chaos, Konflikten oder gar Orientierungslosigkeit. Permanente Unsicherheit versetzt unser Gehirn in einen Stresszustand, auf den wir hauptsächlich mit unseren evolutionär geprägten Überlebensmechanismen reagieren - fight, flight, freeze, fawn.
Eine andere Vorgehensweise beginnt mit der Neudefinition der Rollen im Unternehmen. Damit sind nicht nur die Führungskräfte gemeint, denn auch die Rolle der Mitarbeiter:innen verändert sich mit der Neugestaltung von Führung. Muster werden aufgebrochen und Denkweisen verändert. Als Teil des Teams hat die ehemalige Führungskraft keine Kontrollfunktion mehr, Kommunikation erfolgt nunmehr auf gleicher Ebene und nicht in der Vertikalen. Auch Daimler hat erkannt, dass es nicht mehr um die Karriereleiter geht, sondern um den Sinn und die Freude bei der Arbeit, die im Vordergrund steht. Für alle anderen Mitarbeiter:innen bedeutet dieser Wandel, dass insbesondere ihr Engagement genauso wie das eigene Mitdenken gefordert sind. Sie übernehmen Führung als Experten in einem Projektteam, welches für eine ganz bestimmte Anfrage des Kunden oder ein Einzelprojekt entstanden ist.
Den verschiedenen Ansätzen gemein bleibt, dass es einen Grundstock an Prinzipien geben darf, die sowohl die Zusammenarbeit, als auch Entscheidungssituationen oder gar den Umgang in Konfliktfällen regeln. Jede und jeder im Unternehmen kennt die eigene Rolle und den Verantwortungsbereich, sodass es im Grunde egal ist, wer in dem Team agiert. Angekommen in diesem Stadium, wer braucht dann noch Hierarchien?
Top-Down beschreibt erst einmal die Wirkrichtung von Prozessen. Im Unternehmenskontext selbst wird dies oft gleichgesetzt mit der strikten Weisungshierarchie von oben nach unten. Hierbei gilt: Führung tritt in Form von Autorität auf. Vorstellungen über zukünftige Strategien und Ziele werden vom Vorgesetzten vorgegeben, damit die Prozesskonformität oder die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen nach unten delegiert werden können. Wesentliche Eckpfeiler dieses Führungsstils sind schnelle sowie vermeintlich effektive Entscheidungen ganz im Sinne des Unternehmens sowie vorgegebene Ziele.
Dazu gehören auch konkrete Prozessanforderungen, Zuweisungen von Aufgaben und Verantwortlichkeiten, welche Ablenkungen von den erteilten Arbeitsaufgaben verhindern sollen. Das Treffen eigenständiger Entscheidungen oder das Setzen eigener Ziele ist für Mitarbeiter:innen nicht vorgesehen. Hierarchische Unternehmen, bei denen Entscheidungsketten eine wichtige Rolle spielen, weil diese jederzeit nachvollzogen werden müssen, nutzen diese Methode. Denn Regulation und Standardisierung gelten immer noch als effiziente, erfolgversprechende Instrumente für die Zielerreichung.
Folgen dieser Vorgehensweise zeigen sich insbesondere in dynamischen Zeiten. Selbst wenn es eine entsprechende Vertretungsregel innerhalb der Führungsetage gibt, sind die Strukturen und Prozesse strikt geregelt und das Eingreifen in den Bereich einer anderen Führungskraft wird kritisch gesehen oder gar bestraft. Auch, wenn dies eine Verzögerung vermeiden könnte. Darüber hinaus sind Mitarbeiter:innen nicht weisungsbefugt, sodass wichtige und unternehmensrelevante Themen liegen bleiben, bis der Entscheidungsträger wieder verfügbar ist. Folglich geht die Geschwindigkeit verloren, Wettbewerber ziehen vorbei oder der neue Kunde ist direkt wieder verloren. Auf der Ebene der Mitarbeiter:innen haben innovative Ideen oder Lösungsvorschläge keinen Platz oder sind unerwünscht, obwohl diese gerade während eines neuartigen Problems konstruktive Hilfestellungen geben können bzw. den Handlungsspielraum auf Grund ihrer Erfahrungen erweitern. Der Sprung aus diesem System hin zur Selbstorganisation oder zum hierarchielosen Unternehmen funktioniert nur durch radikale Veränderung der Struktur, des Mindsets und der Unternehmenskultur. In dieser Ausgangslage gelingt eine solche Transformation nur, wenn die gesamte Unternehmensleitung und Führungsspitze hinter diesem Vorhaben steht. Ähnlich, wie Daimler es angestoßen und allein 17.000 Mitarbeiter:innen angesprochen hat, sich diesem Weg anzuschließen, bedarf es einer engagierten Masse in der Organisation, die das bisherige Vorgehen hinterfragen und auf den Kopf stellen.
Eine andere Form der Arbeitsgestaltung bietet das Bottom-Up-Modell. Hier fördert die Führungsetage Mitarbeiter:innen dabei, sich aktiv in die Unternehmens- und Prozessgestaltung einzubringen. So werden Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse im Unternehmen verteilt. In einer reifen Ausprägung setzen sich die Kolleg:innen ihre Ziele und Meilensteine für die Arbeit in Abstimmung mit der Führungskraft selbstständig, meist sogar in kürzeren Intervallen, wie im Falle von OKRs. Die Auswahl der Methoden und Arbeitsmittel wird dabei ihnen selbst überlassen. Ziel ist es, sie zu eigenständigen Unternehmern im Unternehmen zu entwickeln, die Projekte selbst voranbringen, kreative und praxisorientierte Lösungen erarbeiten und dabei das Prinzip der Selbstwirksamkeit direkt spüren. Denn der Erfolg begründet sich aus ihren eigenen Beiträgen. Mit der Erfahrung, wie die eigene Arbeit auf den Unternehmenserfolg einzahlt, kann zudem die Leistungsfähigkeit des gesamten Teams gestärkt werden. Diese Form der Arbeit fordert auch die Führungskräfte heraus, denn trotz der Schnelllebigkeit dürfen sie ihren Mitarbeiter:innen Entscheidungen nicht abnehmen oder Lösungen vorgeben. Ihre Aufgabe in der Rolle des Mentors bzw. Coaches ist die Übertragung der Verantwortung für die Lösungsfindung auf die handelnden Personen. Das gilt auch und insbesondere in stressigen Situationen. Dadurch lernen Mitarbeiter:innen in eben diesen Zeiten oder bei Abwesenheit der Führungskraft, selbstbewusste und eigenständige Entscheidungen zu treffen. Die moderne Mitarbeiterführung wird zukünftig über Arbeitgeberattraktivität, Mitarbeitendenbindung und den Gesamterfolg der Unternehmung entscheiden.
Im Gegensatz zur hierrachielosen Organisation können Führungskräfte hier noch immer wirken. Sie begleiten und geben Sicherheit, insbesondere in herausfordernden Zeiten, haben die Mitarbeiter:innen das Gefühl noch immer ein Back-Up im Rücken zu wissen. Zudem bleibt die Hoheit über Feedbackgespräche und Gehaltsverhandlungen auch weiterhin an einer zentralen Stelle. Der Bottom-Up Ansatz kann als Zwischenstation zur schrittweisen Abschaffung von Hierarchie gesehen werden. Es gibt noch immer Platz für eine Weiterentwicklung zur Führungskraft. Gleichzeitig können so schwierige Themen, wie Gehaltsentscheidungen, umgangen werden, da diese weiterhin über die Führungskraft geregelt sind. Der notwendige Wandel hin zu einer kundenorientierten, selbstorganisierten und flexiblen Prozesslandschaft wird durch diese Zwischenebene zum Großteil weiterhin erschwert.
Der Wandel hin zur hierarchielosen Organisation erfordert nicht nur ein Umdenken in der Zusammenarbeit, sondern stellt Unternehmen vor gänzlich neue Herausforderungen im Bereich der Mitarbeiterführung und des Teambuildings. Ehemalige Führungskräfte überdenken und definieren ihre Rolle neu. Wer bin ich ohne diesen Status, welche Leistung erbringe ich im und für das Unternehmen? Die übermächtige Kontrollaufgabe oder Anweisungen zu erteilen, sind, ohne den Auftrag dazu, nicht mehr Teil der Führung. Kollegen für eine Sache zu begeistern, Empathie und Wertschätzung der individuellen Stärken von Teammitgliedern sowie deren Weiterentwicklung, spielen nun eine viel größere Rolle. Die Entwicklung einer hierarchielosen Organisation fängt bei jedem selbst an. Mit der individuellen Reife zu Selbstführung mittels Selbstorganisation, Reflexion und Selbstentwicklung kann auf die dynamischen Anforderungen reagiert werden. Eine solche Organisationsentwicklung fördert die Motivation des einzelnen Mitarbeiters sowie die Entstehung eines kooperativen Teamgefüges.
Ist das Unternehmen gewillt, alte Strukturen aufzubrechen und neue Managementmethoden einzuführen, ist die Unterstützung seitens eines Experten oder Coaches ratsam, um einen erfolgreichen Wandel hin zu einer zukunftsorientierten Unternehmensstruktur und -kultur zu ermöglichen. Denn alte Muster sind wie schlechte Gewohnheiten, man wird sie nur sehr schlecht los. Wir als ARTS leben aktuell in einem Hybridmodell. Ganz ohne Führungskräfte arbeiten wir nicht, jedoch sind uns Selbstorganisation und laterale Führung in den einzelnen Projekten äußerst wichtig. Gleichzeitig setzen sich die Teams je nach Projekt eigenständig zusammen und organisieren sich die Arbeit selbst. Unsere Führungskräfte können auf die Erfahrungen aller zurückgreifen und befähigen jeden Kollegen dazu, eigene Entscheidungen zu treffen, flexible Teams zusammenzustellen und innovative Ideen voranzutreiben. Mit Hilfe unserer eigenen Erfahrungen begleiten wir Kunden erfolgreich im Hinblick auf die Umsetzung und Implementierung zukunftsorienterter Führungsmethoden und Organisationsstrukturen.
In der Praxis wird oft eine Vermischung verschiedenster Führungsstile gelebt, um je nach Branche eine geeignete Balance zwischen Hierarchie und Kreativität zu schaffen. Dabei entstehen nicht selten einzigartige Unternehmenslösungen, die effizient und zugleich gut strukturiert sind. Generell entwickeln sich die Unternehmen heutzutage zunehmend zu Netzwerkorganisationen oder auch sozialen Gebilden mit diversen formalen Ebenen. Um auf immer neue, nicht vorhersehbare Situationen reagieren zu können, sind sowohl die Führungskräfte, aber auch immer mehr die agierenden Mitarbeiter:innen gefragt. Welcher Führungsansatz für ein Unternehmen der richtige ist, ob es überhaupt Führung bedarf oder der Experte situativ in eine Führungsrolle geht, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Oftmals hilft ein Blick von außen. Entsprechend der Ziele, den Werten und den Wünschen im Hinblick auf die Zusammenarbeit kann gemeinsam ermittelt werden, welche Lücke vorherrscht. Anschließend bieten kleine Anpassungen Raum für Optimierungen. Für uns ist der entscheidende Ort für die Transformation der gesamten Organisation das Team. Handlungsempfehlungen für die Umsetzung und zur Implementierung neuer Strategien unterstützen außerdem die Erreichung des Zielbildes. Um diese Reise auf einen erfolgreichen Weg zu lenken, benötigen wir eine neue Einstellung zu Arbeit, Arbeitskultur und den darin wirkenden Menschen.
Sie wollen bei sich selbst anfangen? “Remote Work Champion” & Self-Assessment - oder Einzelcoaching.