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Im Dschungel des Micromanagements

17.02.2022 2022/02

“Herr Müller, die E-Mail-Vorlage an den Kunden ist jetzt okay, ich habe noch einige Dinge geändert, die können Sie jetzt rausschicken, wie immer mit mir in CC. Nachher will ich mir noch die Berechnung der Zahlen für Q1 von Ihnen anschauen, das wird aber später, weil ich noch so viel auf dem Schreibtisch habe.” Wird Ihnen auch gerade schlecht? Oder zucken Sie die Achseln, weil solche Sätze bei Ihnen im Unternehmen häufiger vorkommen? Falls ja, haben Sie offensichtlich auch Erfahrungen mit Micromanagement gemacht.

Definition: Was ist Micromanagement?

“Mikro” kommt vom altgriechischen Wort für “klein”, wir können uns also unter Micromanagement ein besonders kleinteiliges Management und Führungsverhalten vorstellen. Das kann auch bedeuten, dass man dem Team nicht das Ziel oder die Rahmenrichtlinien erklärt, sondern in kleinen Schritten Arbeitsaufträge vergibt. Wenn ein Auftrag abgeschlossen ist, wird alles akribisch auf Richtigkeit kontrolliert, bevor der nächste Arbeitsauftrag erteilt wird. Typisch für Micromanagement ist es auch, sich möglichst tagesaktuell Updates zu holen, wie weit die Mitarbeitenden mit dem jeweiligen Vorhaben bereits gekommen sind. Die Initiative geht hierbei von der Führungskraft aus, und die Untergebenen müssen zum Rapport - von Augenhöhe oder gemeinsamen Beraten fehlt jede Spur. Wie in einem Dschungel wachsen die kleinteiligen Maßnahmen immer weiter…

Anzeichen für Micromanagement: die häufigsten Dschungel-Pflanzen

  • Übliche Anzeichen für Micromanagement sind üppige Handbücher, Richtlinien, schriftliche Vorgaben, Vorlagen aller Art und detaillierte Handlungsanweisungen mit konkreten Schwellenwerten (beispielsweise im Kundenservice dürfen nur Erstattungen bis zum Betrag 199 € von einfachen Mitarbeitenden vorgenommen werden, darüber hinausgehende Summen müssen von der Teamleitung freigegeben werden). Alle diese Vorgaben müssen genau eingehalten werden und dienen dazu, dass möglichst keine Fehler gemacht werden. (Nebenbemerkung: in manchen hoch regulierten Branchen, wie beispielsweise Pharma oder Luftfahrt, liegt die Begründung für möglichst sorgfältiges Vorgehen auf der Hand. In unserem Beispiel vom Kundenservice für Rücksendungen und Erstattung von Kaufbeträgen riechen solche Vorgaben stark nach Misstrauen gegenüber den Mitarbeitenden.)
  • Bei den jeweiligen Führungskräften macht sich das Micromanagement in einem übervollen Kalender und etlichen Überstunden bemerkbar. Wer jedes Protokoll durchlesen und jede Mail vorm Versenden freigeben muss, wer sich jeden Tag 30 Minuten lang von jedem Teammitglied wie ein Schulkind erzählen lässt, was er:sie den ganzen Tag gemacht hat, hat kaum Zeit für seine eigentlichen Aufgaben.
  • Um regelmäßig über alle Zwischenstände zu berichten, gibt es für alles Regeltermine, also eine beträchtliche Anzahl an Meetings. Dabei wird reihum aufgezählt, welche Aufgaben zuletzt bearbeitet wurden und welche als nächstes anstehen. Wer gerade nicht spricht, versucht seine Langeweile mit einem höflichen Gesicht zu kaschieren - bis auf die Führungskraft, die ausgiebig das Protokoll ergänzt, um spätestens nächste Woche auf die Fortschritte zurückzukommen.
  • Erlernte Hilflosigkeit bei den Mitarbeitenden: Wenn (falls!) die micromanagende Führungskraft in den Urlaub geht, gibt es für alle Themen eine umfangreiche Vertretungsregel (oder es geht alles an den:die nächsthöhere:n Vorgesetzte:n). Sollte dabei ein Thema vergessen worden sein, entscheiden die Mitarbeitenden lieber nichts selbst, sondern warten darauf, dass der:die Chef:in aus dem Urlaub wieder da ist. Vor allem, wenn das Team keinen Überblick bekommen hat, was zu welchem Zweck geschehen soll, ist Mitdenken schlichtweg nicht möglich. Man erledigt die übertragenen kleinteiligen Aufgaben, soweit man sie verstanden hat. Ironischerweise sind so Fehler deutlich wahrscheinlicher, als wenn kompetente Mitarbeitende in Eigenverantwortung einen Prozess von Anfang bis Ende bearbeiten.

Gründe für Micromanagement: in der Person, im Team, in der Organisation, in der Gesellschaft

Eine Wurzel für diesen Dschungel dürfte bis zum Beginn der Industrialisierung zurückreichen: ungelernte, teils analphabetische Arbeitskräfte mussten einfache Handgriffe in Zusammenspiel mit teuren Maschinen verrichten. Die schlechten Arbeitsbedingungen und eintönigen Aufgaben führten zu Fehlern. Daher war es Aufgabe der Vorarbeiter und Aufseher:innen, möglichst jeden Handgriff zu kontrollieren. 

Das zugrundeliegende Menschenbild ist von McGregor in seiner Theorie X formuliert worden: Menschen sind von Natur aus faul und träge und können nur extrinsisch - von außen - motiviert werden, entweder durch die Aussicht auf Belohnungen oder durch Strafe. Die Aufgabe der Führung ist es entsprechend, Aufgaben zu verteilen und deren Durchführung zu überwachen, da einfache Mitarbeitende das große Ganze nicht überblicken können. Jede:r hat nur so viel Wissen und Befugnisse, wie zur Erledigung der Aufgaben nötig ist.

Falls Micromanagement in einer Organisation nur vereinzelt vorkommt, kann dies in der Persönlichkeit der Führungskraft begründet liegen: Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen mit Persönlichkeitsmerkmalen der “Dunklen Triade” Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathentum überdurchschnittlich oft zu Führungskräften werden.

Vor allem jemand mit machiavellistischen Zügen misstraut grundsätzlich seiner Umgebung und versucht, über alles die Kontrolle zu behalten. Doch auch Menschen, die weit entfernt von einer Persönlichkeitsstörung sind, können beispielsweise ihren Perfektionismus auf ihr Team oder ihre Abteilung übertragen.

Mitunter kann auch die Zusammenstellung oder Performance des Teams einen Anlass zu Micromanagement geben - wer noch am Anfang seiner Berufslaufbahn steht oder gerade in einen neuen Bereich gewechselt ist, braucht möglicherweise in der ersten Zeit (!) häufiger Rückmeldungen zu den Aufgaben. Auch ein Team zu übernehmen, das im Unternehmen als “schwierig” oder wenig leistungsstark gilt, ist für manche Führungskraft ein Grund, möglichst engmaschig an der Arbeit der Mitglieder dranzubleiben. In beiden Fällen macht der Ton die Musik: häufige Feedbackschleifen und Interesse für die Herausforderungen der Mitarbeitenden sind hilfreich, Kontrolle hingegen ist eben nicht besser als Vertrauen.

Schließlich darf man die Strukturen und die Kultur des jeweiligen Unternehmens nicht außer Acht lassen. In einer Firma, in der eine Führungskraft persönlich verantwortlich gemacht wird für die Ergebnisse der Untergebenen, ist der Gedanke naheliegend, alles noch einmal selbst überprüfen zu wollen. Auch eine Fehlerkultur, die vor allem auf Vermeidung von Fehlern ausgelegt ist, ohne das Lernpotenzial von Misserfolgen zu nutzen, kann zu Micromanagement beitragen. 

Gegenmaßnahmen

Der erste Schritt ist es, das Micromanagement zu bemerken und als solches zu benennen. Oft funktioniert das von Außen oder als Neuling besser, da intern bereits alle an den undurchdringlichen Dschungel gewöhnt sind. Als Nächstes empfiehlt sich eine kurze Überprüfung: an welchen Stellen gibt es ggf. gesetzliche oder inhaltliche Gründe, dass Sachverhalte im Vier-Augen-Prinzip bearbeitet und geprüft werden müssen? Welche anderen Absicherungen könnten stattdessen getroffen werden? (Beispiele könnten zusätzliche Versicherungen sein oder Ändern der Vertragsbedingungen, um Ersatzansprüche zu verringern, mitunter kann auch ein Tool Eingaben automatisch prüfen und so die Fehlerquote senken.)

Alle Bereiche, die keine Legitimation für engmaschige Kontrollen vorweisen können, sollten nun unter die Lupe genommen werden: wo und wie manifestiert sich das Micromanagement? Liegen die Gründe auf persönlicher Ebene, spielt das Team eine Rolle, welche Strukturen und Mechanismen fordern das Micromanagement in der Organisation heraus? Je nachdem, wie die Antworten ausfallen, ist eine Möglichkeit ein ‘kalter Entzug’. Das bedeutet, dass von nun an nur noch in Ausnahmefällen bei Mails Personen in CC gesetzt werden (und niemals in BCC), dass ¾ aller Regel-Meetings gestrichen und durch kollaborative Tools ersetzt werden, dass alle Handbücher auf knappe Prozesslandkarten reduziert werden, und dass der Entscheidungsspielraum für die Mitarbeitenden bei z.B. Freigaben drastisch erhöht wird.

Wenn auf diese Weise der Wildwuchs des Micromanagement zurückgeschnitten wird, ist Platz für das zarte Pflänzchen Vertrauen. Um im Bild zu bleiben: die kleinen Setzlinge für Vertrauen können in Workshops für Führungskräfte erzeugt werden, sie sollten durch regelmäßiges Coaching (auch für Teammitglieder) gegossen werden, und sie müssen geschützt werden. Falls nämlich die alten Gewohnheiten des Micromanagement-Dschungels wieder anfangen zu wachsen, sollte jede:r Einzelne im Unternehmen das Recht haben, lautstark darauf aufmerksam zu machen und in einem gemeinsamen Gespräch zu hinterfragen, ob es wirklich eine weitere Excel-Tabelle braucht, in die alle ihren Zwischenstand von Was-auch-immer eintragen.

Zugegeben, eine solche Neu-Bepflanzung Ihrer Organisation mit Vertrauen statt Micromanagement braucht Zeit und Entschlossenheit. Wenn Sie sich lieber mit Begleitung daran machen wollen, den Dschungel des Micromanagements einzudämmen, unterstützen Sie unsere Organisations-Botanikerinnen Nadia Döhler und Valeska Szalla gern bei der Identifizierung und Eindämmung Ihrer speziellen Micromanagement-Pflanzen.

Über den Autor
Valeska Szalla
Development Consultant
Seit 2017 schreibe ich meine Erfolgsgeschichte bei ARTS, der ich durch die verschiedenen Projekte, in denen ich bereits tätig war, stets ein neues Kapitel hinzufügen kann.

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