In einer Zeit, in der Fachkräfte immer schwerer zu finden sind, Stellen immer schneller besetzt werden müssen und sich der Rekrutierungsprozess, um geeignete Mitarbeiter:innen zu finden, immer aufwendiger gestaltet, wird der Ruf nach Unterstützung laut. Sei es in Form von passenden technischen Systemen, mehr Personal oder künstlicher Intelligenz.
Dabei ist Ersteres stark abhängig von der firmeninternen Struktur sowie IT und bedarf genauer Prüfungen, ob die Systeme für das Unternehmen geeignet sind. Des Weiteren müssen Mitarbeitende, die mit diesen Systemen arbeiten sollen, geschult werden und benötigen zumindest in der Anfangsphase Unterstützung. Je nach Unternehmensgröße kann das viel Zeit in Anspruch nehmen.
Zudem besteht die Möglichkeit, mehr Personal im Recruiting einzustellen. Das scheitert allerdings häufig am Budget und der Überzeugung der Geschäftsleitenden, dass ein erhöhter Personalbedarf besteht.
Wenn es um künstliche Intelligenz geht, überlegen sich Unternehmen immer häufiger, ob es nicht eine gute Alternative oder Ergänzung zu den beiden erstgenannten Möglichkeiten wäre. Denn mit Maschinen zu sprechen, ist man mittlerweile aus dem Alltag gewohnt. Wir sagen Siri oder Alexa, dass sie unsere Lieblingsmusik abspielen oder die Freundin anrufen soll und beim Versandhaus Otto beispielsweise beantwortet Chatbot Clara alle unsere Fragen. Und durch ChatGPT hat die Arbeitserleichterung in Büros durch technische Unterstützung ganz neue Ausmaße angenommen. Warum also nicht auch mit einem Roboter Bewerbungsgespräche führen?
Künstliche Intelligenz (KI), auch artificial intelligence (AI) genannt, beschäftigt sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem Maschinenlernen. KI ist dem menschlichen Gehirn nachempfunden und entwickelt sich ständig weiter, sie lernt also.
KI wird bereits in sehr vielen Bereichen unseres Alltags eingesetzt und ermöglicht beispielsweise in der Medizin, in der Automobilbranche, in der Land- und Energiewirtschaft und in der Produktion Kosten und Zeit zu sparen oder Prozesse zu verschlanken. Da liegt es nahe, KI auch in anderen Bereichen unterstützend einzusetzen. Besonders repetitive Aufgaben können zukünftig, egal in welchem Bereich oder Branche, von KI automatisiert erledigt werden. Für Personaler:innen schafft das wieder mehr Freiraum, um sich komplexen Fragestellungen und strategischen Entscheidungsfindungen zu widmen.
Die Möglichkeiten von KI im Recruiting reichen vom Einsatz von Chatbots zur Beantwortung von Anfragen über Karriereseiten, der optimalen Gestaltung von Stellenanzeigen und der Auswahl der Kanäle, der systematischen Analyse der eingehenden Bewerbungen, über Integration von KI in Assessment Center bis hin zum Führen und der Analyse von Jobinterviews.
Einige Unternehmen vertrauen bereits auf ihre künstlichen Mitarbeitenden im Recruiting. Konzerne, wie Pepsi und Ikea nutzen beispielsweise „Vera“ zur Bewerberauswahl und zum eigenständigen Führen von Bewerbungsgesprächen, bevor dann die wirklich relevanten Bewerber:innen von „Vera“ ausgewählt und an einen HR Mitarbeitenden aus Fleisch und Blut übergeben werden.
„Vera“ sucht passende Bewerber:innen in Jobportalen, führt selbstständig Video-Chat- oder Telefoninterviews und beantwortet Fragen von Bewerber:innen. Dabei wird sie immer besser, da „Vera“ eine künstliche Intelligenz ist und mit jedem Interview dazulernt.
„Vera“ ist eine Software des russischen Start-ups Strafory und wird bisher in Konzernen eingesetzt, die mehrere Tausend Bewerbungen bekommen. Vor allem wird „Vera“ in diesen Unternehmen zur Vorauswahl tatsächlich relevanter Bewerber:innen genutzt, da besonders diese erste Auswahl sehr viel Arbeit und Zeit in Anspruch nimmt.
Ein weiteres Beispiel ist „Matilda“. Dieser Roboter wurde an der Universität Melbourne entwickelt und mit 76 Fragen ausgerüstet, um 25minütige Bewerbungsgespräche zu führen, nachdem sie Bewerbungsunterlagen ausgelesen hat. „Matilda“ ist in der Lage Emotionen in Gesichtern der Bewerber:innen zu lesen und darauf empathisch zu reagieren.
Wobei „Vera“ vor allem für Jobs, wie Sachbearbeiter:in, Kellner:in oder Bauarbeiter:in gedacht ist, eignet sich „Matildas“ Fragenkatalog vor allem für Vertriebspositionen. So oder so müssen sich beide KI weiterentwickeln, um künftig tatsächlich für Entlastung in Recruiting Abteilungen der Unternehmen zu sorgen und um für die Auswahl verschiedenster Fachkräfte einsetzbar zu sein.
Zurzeit sind KI’s wie “Vera” und “Matilda”, die Robot Recruiting durchführen, in deutschen Personalabteilungen noch nicht weit verbreitet. In Asien und Amerika ist dieser Trend schon viel weiter fortgeschritten und hat sich dort im Erstkontakt mit interessierten Kandidaten:innen etablieren können. In Deutschland werden aktuell hauptsächlich Chatbots und Tools für Analyse und Matching von Bewerbungen eingesetzt. So bieten sie den Recruitern:innen eine Unterstützung ohne die persönlichen Aspekte von Stellenbesetzungen und der Candidate Experience gänzlich zu vernachlässigen. Auch wenn KI nach wie vor noch in den Kinderschuhen steckt, hat das Unternehmen OpenAI mit seinem auf künstlicher Intelligenz basierenden Textgenerator ChatGPT den Startschuss für eine neue Art des Arbeitens gegeben. Bereits ein Jahr nach dem internationalen Rollout wurde das Nachfolgermodell GPT-3 vorgestellt. Dieses Modell basiert auf einem Datensatz von mehr als 45 Milliarden Wörtern, sodass immer leistungsfähigere Antworten generiert werden können.
ChatGPT bietet ein enormes Potenzial, um den Recruiting-Prozess zu optimieren und die Effizienz zu steigern. Hier sind nur einige Anwendungsbeispiele:
Intelligenter Erstkontakt: ChatGPT fungiert als erste Anlaufstelle für Bewerberinnen und Bewerber und beantwortet Fragen zu Stellenangeboten, zum Bewerbungsprozess und zum Unternehmen. Dies sorgt für eine positive Candidate Experience und erhöht die Bindung potenzieller Top-Talente.
Schnelles und effizientes CV-Screening: Dank seiner Fähigkeit, Textinhalte zu analysieren, kann ChatGPT Lebensläufe und Anschreiben durchsuchen, um relevante Fähigkeiten und Erfahrungen hervorzuheben. Dies beschleunigt den ersten Filterprozess und ermöglicht den Personalverantwortlichen, sich direkt auf die vielversprechendsten Kandidat:innen zu konzentrieren.
Interviewplanung ohne Aufwand: ChatGPT automatisiert die Terminierung von Vorstellungsgesprächen, indem es die Verfügbarkeit von Kandidat:innen und Personalverantwortlichen abgleicht und Termine vereinbart. Dies reduziert den administrativen Aufwand für das HR-Team erheblich.
Transparenter Bewerbungsprozess: Schnelle und transparente Kommunikation ist entscheidend für die Zufriedenheit der Bewerbenden. ChatGPT kann Zwischenstände im Bewerbungsprozess automatisch kommunizieren und standardisierte Absagen versenden. So bleiben Bewerberinnen und Bewerber auf dem Laufenden und fühlen sich wertgeschätzt.
Nahtloses Onboarding: Nach der Einstellung unterstützt ChatGPT neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Onboarding. Der KI-Assistent beantwortet Fragen zu Unternehmensrichtlinien, stellt wichtige Informationen bereit und sorgt so für einen reibungslosen Start ins Berufsleben.
Wem das zu viel KI im Bewerbungsprozess ist, der kann dennoch von ChatGPT profitieren und sich für die verschiedene Themen Vorlagen erstellen lassen. Auch wenn das Tool heute schon sehr leistungsfähig ist, ist es notwendig das die HR-Mitarbeitenden die Antworten noch einmal kontrolliert.
Die Vorteile von KI im Recruiting sind nicht nur die vielen tausend Gespräche, die eine KI pro Tag führen kann und die unzähligen Stellenanzeigen, die sie erstellt und optimiert. Sie wird zudem nicht müde oder krank, spricht verschiedene Sprachen und kann unabhängig von Zeitzonen rund um die Uhr arbeiten. Ein Recruiting Robot kann zudem das Geschlecht anpassen und sich damit voll und ganz auf die Anforderungen der Kandidaten:innen einstellen. Des Weiteren diskriminieren Roboter nicht und treffen auch keine Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“. Insbesondere “Unconscious Biases” - unbewusste, voreingenommene Neigungen -, die jeder Mensch in sich trägt, können durch den Einsatz von Robotern die Diskriminierung in Recruiting-Prozessen wesentlich verringern, da sie objektiv und neutral analysieren und keine Vorurteile oder Antipathien kennen.
Wie schon beschrieben, wird KI vor allem durch stetiges Lernen charakterisiert. Es lernt also auch immer mehr über die Kandidaten:innen und ist in der Lage im Internet weitere Informationen zu Bewerbern:innen in Sekundenschnelle herauszufinden und diese zusammenzufügen. Dadurch liegt der KI ein umfassenderes Bild eines Bewerbers vor, als Personaler:innen aus Fleisch und Blut. Damit kann KI womöglich noch besser beurteilen, ob ein:e Kandidat:in ins Unternehmen passt oder nicht.
Aber ist nicht gerade die Varianz der Mitarbeitenden ein Aspekt, der Unternehmen erst leistungsfähig und kreativ macht? Die Gefahr, dass Unternehmen dann künftig nur noch aus einem „Mitarbeitenden-Einheitsbrei“ bestehen, ist bei weitreichendem Einsatz von KI durchaus vorhanden. Wie sollen sich konstruktive Diskussionen und Gespräche entwickeln, wenn alle Mitarbeiter:innen ideal zusammenpassen?
Eine weitere Kehrseite der Medaille ist der Datenschutz. Denn Personaler:innen debattieren besonders über die Frage, ob es noch datenschutzkonform ist, wenn ein Roboter freiwillig und unfreiwillig veröffentlichte Daten über Bewerber:innen im Internet sammelt und für die Jobentscheidung nutzt. Auch deshalb stehen viele Unternehmen dem Einsatz von KI in Recruiting Abteilungen noch kritisch gegenüber. Auch das Hasso-Plattner Institut warnt vor der Preisgabe sensibler Daten. Das Programm erfasst sämtliche eingegebenen Daten, was potenziell zu Problemen bei der Datensicherheit führen kann. Wie bei jeder Technologie, die solche Informationen speichert, besteht auch hier ein Risiko für Datenschutzverletzungen und andere Sicherheitsprobleme.
Vor dem Einsatz von Recruiting Robots sollten Unternehmen sich fragen, ob sie eine zukunftsweisende Entscheidung, wie die Jobvergabe, tatsächlich in die Hände von KI geben wollen. Natürlich ist der Vorteil der Nicht-Diskriminierung in der Bewerberauswahl absolut relevant und auch die Reduzierung von Aufwänden für viele HR-Bereiche ein wichtiges Argument. Allerdings sollte die Zwischenmenschlichkeit und die Überlegung, dass Mitarbeitende Fachkompetenz haben sollten und zudem zu den anderen Teammitgliedern aus dem Team passen müssen, nicht unberücksichtigt bleiben. Dazu benötigen wir menschliche Recruiter:innen, die beurteilen können, ob Kandidat:innen sowohl fachlich als auch menschlich in die Unternehmenskultur passen.
Jedes Unternehmen muss mit dem digitalen Wandel gehen, um am hart umkämpften Arbeitsmarkt nicht abgehängt zu werden. Geeignete Fachkräfte sind immer schwerer zu finden, was den Rekrutierungsprozess erschwert, zeitaufwändiger macht und kreative Ideen von Personalern erfordert. Das bloße Ausschreiben einer Stelle ist nicht mehr ausreichend. Die entsprechenden Fachkräfte müssen aktiv gesucht und angesprochen werden. Somit ist die Entscheidung für eine Unterstützung durch künstliche Intelligenzen nur eine Frage der Zeit.
KI sollte mit seinen umfangreichen und objektiven Analysemöglichkeiten und auch als Chatbot, tatsächlich als Unterstützung genutzt werden, ersetzt aber niemals den persönlichen Kontakt zwischen Personaler:innen und Bewerber:innen.